Lichter über der Stadt

Lichter über der Stadt. Ich muss etwa drei gewesen sein. Vielleicht auch ein bisschen jünger. Meine Eltern hatten es gut gemeint. Wir fuhren “raus”. Zumindest wird das Heute so genannt, wenn man Zeug einpackt und sich mit ein paar Tausend anderen irgendwo in die Pampa pflanzt. Da wird dann zu allgemeiner Erbauung was gegeben, das sich zwischen “Symphoniker spielen die besten Hits” und Grossbildprojektionen von Fussballspielen, Boxkämpfen oder Popkonzert bewegt. Stichwort also: Open Air.


Dazwischen Ich. Menschgewordene Pampers mit Augen und Mund. Mitten in einer Orgie von Bunt und Mief für sich zaghaft entfaltende Sinne. Der Abend zog sich. Endlos. Im tiefsten Grund meiner Erinnerung verwehte er mit den letzten Klängen aus Händels Wassermusik, es kann aber auch Wagners “Freischütz” gewesen sein. Meinen ungeübten Kinderohren war dieses völlig abhold. Entsprechend bewegte ich mich in meiner Laune zwischen gelangweilt und müde. Eltern nennen es zuweilen “quengelig”. Dann passierte etwas. Kinderohren zerschmetternder Lärm setzte ein und der Himmel wurde bunt und verlosch. Damals waren mir Zusammenhänge zwischen Licht, Strom, Streichholz und Feuerwerk nicht bewusst. Ich dachte meine letzten Minuten auf der Welt hätten just begonnen. Alles, was sich in mein werdendes Bewusstsein drängte, waren “Oh” und “Ah” der Lungernden, mein verzweifeltes Brüllen, Fluchtinstinkte und der Wunsch, dass das, was da vor sich ging, mich verschonen und möglichst schnell vorbei sein möge.

Sehr viel später sah ich mal auf CNN die Bombenattacken auf Bagdad. Das sah hübsch aus, die brennende Stadt von oben, mitten in lauer Sommernacht, da in der Flimmerkiste. Ein bisschen so wie damals beim “Open Air”. Wie dem auch sei. Meine Eltern waren gute Pädagogen, die es meisterlich verstanden, mir klar zu machen, dass man Geld genauso gut direkt verbrennen könne, anstatt Silberfunken, Donnerhall und Goldregen am Neujahresabend laut Johlend in den Himmel zu jagen. Suspekt war mir nur, dass teure Raketen in den Himmel zu schicken, selbst den vernünftigsten Erwachsenen einen Heidenspass zu machen schien. Irgendwie schmeckten die Argumente zunehmend faul in meinem kleinen Gehirn, abgesehen davon, dass Tom, Erdal und Steffie ab Anfang November aufgeregt davon erzählten, was Pappa an diesem Sylvester alles einkaufen würde. Die Namen der Böller schienen von Jahr zu Jahr exotischer zu werden. Ausserdem suchten sie sich gegenseitig mit Typenbezeichnungen zu übertrumpfen, indem die Buchstaben nach dem magischen Wort “Chinaböller” von A an, immer tiefer ins gerade gelernte Alphabet reichten, und sie Worte wie “Kanonenschlag” und “Vogelschrei” und “Chinabomber Q” erfanden. Die Jahre kamen und auch die Pubertät ging.

Gestern ging ich zur Sparkasse und zog mir aus einer dafür bereitgestellten Maschiene 250 Euros. Damit ging ich in ein Waffengeschäft, in einer der schäbigsten Ecken, die Neukölln so anzubieten hat. Zwei Stunden später verliess ich es. Im Gepäck zwei Melcher Magnum Schreckschussrevolver und aufschraubbaren Multishootbechern, Kaliber neun Millimeter, Dreihundertachzig Leuchtkugeln und dem schönsten Grinsen, zu dem mein Gesicht im Stande war. Sylvester kann kommen. Laut. Bunt.

von Jan Zabel für lampenfieber

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <strike> <strong>