An einem gut besuchten Samstagnachmittag fiel mir in unserem Geschäft in der Uhlandstraße ein Kunde auf, der völlig in die Betrachtung einer höhenverstellbaren Jugendstil-Stehlampe versunken schien. Nach einer Weile schweigsamer Begutachtung machte er einen beherzten Schritt nach vorn, lockerte die Feststellschraube, schob den beweglichen Teil so hoch wie irgend möglich und fixierte die Lampe wieder. Als er zurücktrat, um sein Werk in Augenschein zu nehmen, zeigte sein Gesicht deutliche Missbilligung.
Bereits einigermaßen alarmiert ging ich auf den Kunden zu, um zu sehen, ob er Fragen hätte. Und die hatte er, denn kaum war ich in seiner Nähe, sah er mich stirnrunzelnd an und fragte: “Höher geht die nicht?“ In unserem Beruf ist eine gewisse Anpassungsfähigkeit unerlässlich, weshalb ich mich kurzerhand dazu entschloss, den Gepflogenheiten des Kunden zu entsprechen und ebenfalls auf irgendwelche Höflichkeitsfloskeln zu verzichten. Deshalb fragte ich schlicht zurück: “Wollen Sie damit lesen oder duschen?“
„Lesen“ war die prompte Antwort des Herrn, und sofort wurde mir klar, dass hier dringender Demonstrationsbedarf bestand. In der Nähe stand ein mit Büchern überladener Stuhl in der Dekoration. Ich schnappte mir die Bücher, ließ sie bis auf eines stapelweise auf den Boden fallen und marschierte mit Stuhl und Buch zurück in Richtung Stehlampe. Dann stellte ich den Stuhl daneben, drückte dem Kunden das Buch in die Hand und formulierte seiner Vorliebe entsprechend knapp: “Hinsetzen. Lesen.“
Er tat wie ihm geheißen und setzte sich in den Stuhl, den Schirm der Lampe Schwindel erregend weit über ihm. Das aufgeschlagene Buch, dass der Kunde auf den Knien balancierte, war von strahlendem Licht erhellt – von so hellem, strahlendem Licht, dass es geradezu darum zu flehen schien, endlich gelesen zu werden. Trotzdem noch nicht hinlänglich überzeugt, streckte der Kunde Rücken und Halswirbelsäule so weit durch, dass ich bereits orthopädische Folgeschäden befürchtete. Ein verzagter Blick nach oben aber verscheuchte schließlich auch seinen letzten Zweifel daran, dass selbst im unwahrscheinlichen Fall eines plötzlichen Wachstumsschubs von einem Meter sein Kopf dem Lampenschirm gefährlich nahe kommen könnte.
Ich brachte die Stehlampe auf ihre ursprüngliche Höhe zurück. Auch dieser letzte Test war in Hinsicht auf Lesbarkeit und Kollisionsgefahr von überzeugendem Ergebnis – und so verließ wenige Minuten später ein zufriedener lächelnder Kunde mit einer wunderschönen Jugendstil-Stehlampe das Geschäft.